TEXTE

Ruth Kraft, 1967

Der Aquarellmaler

Ach, ihr prallen Gehäuse,

die ihr hinschmelzt

unterm kräftigem Daumendruck,

berstend vor Fülle!

 

Und ihr flachen Gefäße,

Klaviatur, hell – dunkel,

Tonleitern, blau, gelb, rot,

schwarz eingedeckelte Ordnung –

 

ihr wartet nur

auf den Haarschopf,

der, langgestielt, spitz oder flaumig,

tänzelnd genäschig

oder fordernd gefräßig

sich an euch sättigt.

 

Jeden Maler verführt

bleiche papierene Dürre

zur Oase zu wandeln.

Also muß Feuchtigkeit fluten,

alle Poren durchdringend.

 

Hei, wie sie schwelgen!

Krapplack trifft sich mit Ocker,

kräftiges Grün rändert keck

hingetupftes Karmin.

Umbra und Aquamarin

züngeln ums Blauviolett – !

Hochzeit der Farben. Bescheiden

hält sich die Linie zurück.

Morgenglast über dem See,

dräuende Ballung, gewittrig – –

hat Atmosphäre Kontur?

 

Saum einer Stadt unterm Himmel.

Wie eine Fatamorgana

Brücke und Baum, Boot und Fels, –

greifbare Poesie, – ja, ebenso wirklich

wie jene Blumen im Krug.

 

Rittersporn dolmetscht beredt,

übertrumpft schier den Klatschmohn.

Doch selbst der zarteste Hauch –

sei es ein leidvoller Blick –

Hände voll Kraft,

ein fragendes Lächeln –

kündet die Botschaft des Meisters:

Von der unendlichen Schönheit

unserer endlichen Welt.

 

Meinem lieben Freund Gerhard Stengel zum 13. Januar 1975 herzlichst zugeeignet.

Deine Ruth Kraft

Zeuthen, am 10./11.1.75